Phase Null – ein partizipativer Planungsprozess
Welche Räume brauchen Schulen im 21. Jahrhundert?
Sind es noch die Flurschulen, die uns allen vertraut sind?
Nicht nur die Inklusion hat den Schulalltag verändert, auch Unterricht und Schulzeiten haben sich verändert: Viele Schülerinnen und Schüler verbringen den ganzen Tag in der Schule. So sind die Schulräume zum Lebensort unserer Kinder geworden. Daher ist es wichtig bei Um- und Neubauprozessen diejenigen zu beteiligen, die in der Schule lernen und arbeiten, denn sie wissen sehr gut, welche Lern- und Arbeitsumgebungen sie brauchen.
Ein solcher Beteiligungsprozess wird in Deutschland oft kurz „PHASE NULL“ genannt und ist beispielsweise bei der Sanierung von Krankenhäusern schon lange üblich und bedeutet: Alle Nutzer werden in den Planungsprozess mit einbezogen.
In Workshops mit Lehrenden, Eltern und Kindern werden die Anforderungen für die Räume ermittelt. Wichtig ist dabei, dass so viele Perspektiven wie möglich vertreten sind und der Prozess von gut ausgebildeten Prozessbegleitern moderiert wird, die neue Ideen in der richtigen Sprache an die bauenden und planenden Experten weitergeben. Dieser Partizipationsprozess, bei dem Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrende nachhaltig beteiligt werden, hat in Deutschland gerade erst begonnen.
„Der Raum ist der 3. Pädagoge“ – ein schwedisches Sprichwort?
Immer wieder hört man, dass der Raum der dritte Pädagoge sei, wer sind denn die anderen beiden Pädagogen? Der Satz stammt von dem italienischen Reformpädagogen Loris Malaguzzi. Er hat in den 1970er-Jahren gesagt, dass Kinder
(1) von allen Erwachsenen lernen, von Eltern, Lehrenden, genauso wie vom Bäcker und der Pfarrerin,
(2) von ihren Altersgenossen, Freundinnen und Mitschülern lernen,
(3) über den Raum, also das Schulgebäude, den Schulhof und das Gebäude, in dem sie leben.
Mittlerweile wissen wir, das Loris Malaguzzi Recht hatte und können seine Aussage sogar noch erweitern:
(4) Der kulturelle Raum ist ebenfalls von großer Bedeutung,
(5) die Zeit und
(6) der virtuelle Raum.
Wirkung und Einfluss all dieser Räume gelten nicht nur für das Lernen unserer Kinder, sondern bestimmen auch die Unterrichtsentwicklung, die Schulorganisation, die Arbeitsplatzgestaltung der Lehrenden, kurzum die Entwicklung der ganzen Schule.
„PHASE NULL – am ein praktischen Beispiel einer Schulhofumgestaltung“
Am Anfang steht die Frage der Schulbauberatung: „Wie soll der Schulhof gestaltet sein?“
Je nach Zielgruppe ergaben sich in einem Phase Null Planungsprozess in Düsseldorf folgende Antworten:
Das Ergebnis dieses Diskussionsprozesses wurde von unserer Prozessbegleiterin für das Düsseldorfer Ganztagsgymnasium und die bauenden Experten folgendermaßen so zusammengefasst: Der Schulhof soll zukünftig aus verschiedenen Zonen gestaltet sein, dort finden sich folgende Elemente:
Spielbereiche mit Klettergerüst,
– Bewegungselemente,
– Fußballfeld,
– Tischtennisplatten überdacht,
– Tische & Bänke unter Bäumen,
– Amphitheater & Liegewiese,
– Treppenelemente im hinteren Bereich.
„PHASE ZEHN – Endlich umgezogen – und nun?“
Moderne Schulgebäude sind architektonisch so gestaltet, dass sie z.B. Kommunikation und Zusammenarbeit aller fördern. Sie sind oft hell, lichtdurchlässig und bestehen aus zusammenhängenden Lernbereichen mit viel Glas. Wie Co-Working-Spaces sind sie flexibel nutzbar und gleichzeitig robust. Sie unterstützen Lern- und Lehr- und Pausenzeiten gleichermaßen. Man spricht von Clusterschulen oder Lernlandschaften. Sie ermöglichen den Lehrenden den „Raum als 3. Pädagogen“ gezielt und effizient einzusetzen und können auch für Bewegung- und Ruhephasen gut genutzt werden. Architektur und Pädagogik sind gut aufeinander abgestimmt. Schulen, die heutzutage gebaut werden, spiegeln die gesellschaftlichen Entwicklungen des 21. Jahrhunderts wieder – architektonisch und pädagogisch.
In der Anfangsphase sind jedoch viele schulorganisatorische Veränderungen bei laufenden Betrieb nötig. Neue Lernräume werden in Betrieb genommen, neue pädagogische Möglichkeiten müssen erarbeitet, ausprobiert und eingesetzt werden. Diesen Prozess bezeichnet man als PHASE 10.
Ein Blick über den nationalen Zaun nach Skandinavien oder in die Niederlande zeigt, dass es in vielen Kollegien starke Beharrungskräfte gibt. In beiden Ländern wird schon seit mehr als zehn Jahren partizipativ geplant und gebaut. Besucht man dort Schulen mit innovativen Lernumgebungen, sieht man sehr häufig, dass Bildungsverwaltung und Architektur innovative Lernlandschaften gestaltet haben. Doch viele Kollegien schaffen die erforderlichen Veränderungsprozesse nicht aus dem Stand heraus. So werden sind z.B. viele Glaswände erstmal rundum mit Postern beklebt. Trotz innovativer Lernumgebung ist Frontalunterricht die überwiegende Unterrichtsform und das schleift sich dann in den neuen Umgebungen auch so ein. Es scheint fast so, als sei nach dem Kraftakt eines Umzuges erstmal die „Luft“ raus, so dass die pädagogischen Möglichkeiten, die in den neuen räumlichen Anordnungen schlummern, im schulischen Alltag auf der Strecke bleiben.
Damit Schulen den Transformationsprozess gut bewältigen, haben sich externe Unterstützungen als sehr hilfreich erwiesen. Das sind gezielte, maßgeschneiderte Prozessbegleitungen, die deshalb erfolgreich sind, weil sie individuell auf die Schule zugeschnitten werden. Wichtig ist das richtige Timing, dann entwickeln sich Kollegien aus eigener Kraft weiter.
Ohne professionelle Unterstützung ist es für die Schule sehr viel schwieriger, einen neuen Weg erst zu suchen, sich dafür zu entscheiden und schließlich zu gehen. Denn schon heute sind die Herausforderungen enorm: Weiterentwicklung der Inklusion, Ganztagsbetreuung, Digitalisierung und temporäre Schulschließungen wie z.B. durch die Pandemie oder der chronische Personalmangel bedeuten für alle Beteiligten eine enorme Kraftanstrengung. Da bleibt im Alltag wenig Spielraum für grundlegende Veränderungsprozesse.
Wenn die Schule beim Einzug tipp-topp vorbereitet sein will, startet man die Phase-10 am allerbesten, wenn das Architektenteam den Entwurf der neuen Räume präsentiert. Denn dann schließen sich ja noch mindestens 3 Jahre Bauzeit an, also die ideale Zeit, denn Schulentwicklung braucht Zeit. In Schottland gehört eine PHASE 10 zu jedem neuen Schulbau dazu, in Deutschland gibt es bisher keine systematische Förderung, aber die Stadt München will demnächst eine solche Förderung aufbauen und auch die Stadt Düsseldorf arbeitet dran. Sollten Sie nicht so lange warten wollen, sprechen Sie uns gerne an.
REFERENZEN
In den vergangenen 4 Jahren konnte die Sophia::Akademie bundesweit mehr als 20 Beteiligungsprojekte zur „Phase Null“ durchführen und sich national und international für den Aufbau eines Netzwerkes für partizipative Lernraumentwicklung einsetzen.
(Auswahl)
Grundschulen
Gemeinschaftsgrundschule Schloss Benrath, Düsseldorf
St. Cäcilia, Düsseldorf
Thomas-Schule, Düsseldorf
Grundschule an der Humanstrasse, Bremen
Ganztagsgrundschule Unterliederbach, Frankfurt
Grundschule Südlohn, Südlohn
Brigida-Schule, Wesseling
Weiterführende Schulen
Gymnasium an der Bayreutherstrasse, Wuppertal
Rückert Gymnasium, Düsseldorf
Geschwister-Scholl-Gymnasium, Düsseldorf
Theodor-Litt-Realschule, Düsseldorf,
Humboldt-Gymnasium, Düsseldorf
Gesamtschule Lindenthal, Köln
Geschwister-Scholl-Gymnasium, Winterberg
Walter-Kolb-Schule, Frankfurt
Ev. Schule Steglitz, Berlin
Internationale Aktivitäten
Von 2017 bis 2020 entwickelten wir gemeinsam in einem EU-geförderten Projekt eine deutschsprachige Schulbauberaterausbildung, in der 29 zertifizierte Lernraumentwickler*innen erfolgreich hervorgingen. Dabei entstand auch die eerste Kooperationsplattform für Lernraumentwicklung im deutschsprachigen Raum unter unserer Federführung. Mehr Infos unter www.kooperation.pulsverbund.eu
Aktuell laufen unter unserer Leitung zwei EU-Projekte in diesem Themenfeld:
MOBILE entwickelt innovative Tools zur PHASE 10. [www.learning-space.eu]
LEA entwickelt digitale Prozessbegleitungsmaterialien. [www.learning-environments.eu]